Das ist der Punkt, wo Stella Armut einsetzt. Wie Sie sehen, gibt es auf diesem feinen Regalbrett streng nach serieller
Art diese hübschen Stern-Salz-Pakete aufgereiht. Hier gegenüber haben wir eine gewagtere Komposition von Salzpäckchen
an die Wand arrangiert. Einige mögen es schon erkannt haben, daß es sich um die Anordnung des Sternbildes des „Großen
Wagens“ oder „Großen Bären“ handelt. Die Amerikaner nennen ihn weniger prosaisch „Big Dipper“, was so etwas wie eine
große Kasserolle ist. Jedenfalls hat mir ein freundlicher Mensch von der Sternwarte am Telefon mitgeteilt, daß sich am
Freitag, dem 1. Oktober 1999 gegen 20.00 Uhr der Große Wagen in nordwestlicher Richtung ca 30° über dem Horizont
befindet. Wenn wir also einen klaren Himmel hätten, keine störenden Gebäude, keine die Sterne verschwinden lassende,
übertriebene Beleuchtung, so müßten wir den großen Wagen etwa dort sehen können.
Nun habe ich in der Schule gelernt, daß, wenn man die hintere Achse über den äußeren Begrenzungsstern zu dem hellsten
Stern darüber in einer Linie verlängert, man den Polarstern erreicht. Wenn man von ihm eine Senkrechte zum Horizont
hinunter imaginiert, kann man die Himmelsrichtung Norden lokalisieren und damit alle übrigen Himmelsrichtungen. Man
weiß also dann, welche Richtung man einschlagen kann. Ich hole hier so schulmeisterlich aus, weil es immer noch um die
Frage „wo ist die Kunst?“ geht. Jetzt wissen wir zumindest, wo sich dieses Kunstwerk befindet und wissen auch, wie man
sich an ihm orientieren kann. Das kann man nicht so leicht von jedem Kunstwerk sagen. Geht es nicht überhaupt bei
aller Kunst und auch bei aller Philosophie, Wissenschaft und Erkenntnis letztlich um Orientierung?
Jetzt empfange ich schon seit einiger Zeit einen inneren Zwischenruf, der vehement wiederholt: „In der Küche!“. Was
soll das bedeuten? Heißt das, die Kunst ist in der Küche? Das würde bei Salz ja passend sein. Wir beide sind sowieso
am liebsten in der Küche. Die Küchen hatten ja immer schon so etwas modern-sachlich-white-cube-Galerieartiges. Alle
Kunstwerke, Poster, Postkarten, etc. sahen in der Küche immer prima aus und im Wohnzimmer eher bescheiden. Sollte der
wahre Ort der Kunst in der Küche liegen? Eines können wir schon mal festhalten: Sollten sie sich entschließen, eines
dieser für Ihre weitere Lebensorientierung unentbehrlichen Salzpakete zu kaufen, bringen Sie es nicht in die gute
Stube, die Küche ist es, da gehört es hin. Wenn es alle Wunder der Richtungsweisung versagt, können Sie sich damit
immer noch Ihre Suppe salzen und sich daran erinnern, wie fad und geschmacklos das Leben vorher war.
Nun ließe sich natürlich über Salz oder die Kulturgeschichte des Salzes vieles sagen, aber das kann jeder selbst
nachlesen. Mir hat nur gefallen, daß im „Kluge“ (etymologischem Wörterbuch) das Wort Salz von „sich setzen“ abgeleitet
wird. Na also, bei dieser Kunst von Stella Armut darf man sich setzen. Leider geht das hier im Laden noch schlecht,
weil zu wenig Stühle da sind, aber dann bei Ihnen zu Hause in Ihrer Küche.
Noch ein paar Worte zu Stella A. Oft werden wir gefragt „Wer ist denn nun Stella A.?“ Darauf kann ich nur antworten:
„Stella A. ist eine Muse!“ Musen sind ja heute seltener als Panda-Bären. Auch Stella A. zeigt sich nicht oft. Manchmal
erscheint sie monatelang nicht. Wenn ihr danach ist, wechselt sie ihren Nachnamen, mal Armut, mal Anfang, mal Arbeit
usw. Sie ist launisch, unzuverlässig und rechthaberisch, dabei aber durchaus großzügig und weitherzig. Hat sie einem
erst mal eine Idee rüber-intuitioniert, verlangt sie, daß man sie widerspruchslos ausführt. So war es auch mit dem
Stern-Salz. Alle Bedenken, wie: Das hatten wir doch schon bei Marcel Duchamp, Andy Warhol, Joseph Beuys usw , wischt
sie vom Tisch und beharrt auf bedingungsloser Gefolgschaft unter der Drohung, sich anderenfalls nie wieder blicken zu
lassen. Das möchte man natürlich nicht riskieren. Darum haben wir ihr jetzt diesen schönen Laden eingerichtet, mit
festen, erträglichen Öffnungszeiten (sie schläft gern lange) in der Hoffnung, daß sie sich daran gewöhnen wird und
regelmäßiger vorbeischaut. Na, man wird sehen...
Stella Armuts Stern-Salz ist in der ersten Auflage von 100 Exemplaren numeriert und wird auf Wunsch bei Kauf von uns
signiert und kostet nur 22.- DM pro Stück (Einführungspreis!). Ein für den Kunstbetrieb unerhört niedriger Preis. Wem
das dennoch zuviel ist, der kann sein Salz im Supermarkt kaufen, muß aber auf alle hier erwähnten magischen und
geistigen Kräfte verzichten. Wem das zuwenig ist, kann es auch als Bild zum Preis von 300.- bzw. 600.- DM erwerben
(gerahmt). Wer noch mehr ausgeben will (z.B. 2200.- DM) kann mit der Collection Stella Armut eine Schachtel mit 8
bearbeiteten Hauptwerken von Marcel Duchamp erwerben oder sich vertrauensvoll an uns wenden, wir werden sicher etwas
Geeignetes finden.
Noch eine letzte Bemerkung zum Ort der Kunst. Meine Mutter pflegte, beim Kaffeekochen dem Kaffee eine Prise Salz in
den Filter zu streuen, so zwischen Daumen und Zeigefinger. Als ich sie mal fragte, warum sie das mache, sagte sie:
„Das ist eben die Kunst!“. Seitdem glaube ich, daß die Kunst etwas ist, das sich zwischen Daumen und Zeigefinger
abspielt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wir erklären hiermit die Edition Stella A. in den Räumen Gipsstraße 4 für eröffnet.
Michael Behn, Sept. 1999